"Heftig-emotionale Debatte": Was bringt die Autobahn?

Erstellt am 29. Februar 2020 | 15:26
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„Wir sind schon zwei Stunden in heftig-emotionaler Diskussion“, rekapituliert Moderator Ernst Wurz zwischendurch. Das Reizthema ist die „Europaspange“: Der Stadtsaal in Waidhofen an der Thaya ist anlässlich einer Podiumsdiskussion am Freitagabend (28. Februar) so gefüllt, dass etliche stehen mussten.

„Das Thema dürfte doch aktuell sein, sonst wäre der Saal nicht so überdrüber voll“, heißt Thomas Kainz alle willkommen. Er gründete im Mai 2019 die „Plattform lebenswertes Waldviertel“, die sich gegen die Errichtung einer Autobahn durch das Waldviertel ausspricht und sie ist der Organisator der Podiumsdiskussion. Das Mobilisieren gelingt ihr. Schon die ersten Reaktionen aus dem Publikum zeigen: Die große Mehrheit gehört zu den Autobahn-Gegner.

Alle Parteien außer FPÖ vertreten

Ihr gegenüber auf der Bühne sitzen acht Männer: Jürgen Maier (ÖVP), Josef Wiesinger (SPÖ), Reinhart Blumberger (WKÖ), Helmut Hofer-Gruber (NEOS), Martin Litschauer (Die Grünen), Harald Frey (TU Wien), Johannes Gutmann (Sonnentor) und Fritz Gurgiser (Transitforum Austria). Gottfried Waldhäusl (FPÖ) habe laut Wurz wegen eines „Einladungsproblems“ nicht kommen können.

Zwei der Diskutanten stehen voll und ganz hinter der gerade laufenden „Strategischen Prüfung Verkehr“ (SPV): Maier und Blumberger. Der SPV gehe eine Vorstudie voraus, die eine Europaspange „volkswirtschaftlich positiv bezeichnet“, erklärt Maier. Waidhofens WK-Bezirksstellenobmann Blumberger sieht in dem Vorhaben „mehr als eine Autobahn“, darin stecke der Ausbau von Straße, Bus, Bahn und Breitband. Einige im Saal befürchten, dass die SPV ein Freifahrtschein hin zu einer Errichtung bedeute. Das Gefühl bestärkt Harald Frey, der im Forschungsbereich „Verkehrsplanung und Verkehrstechnik“ der TU Wien tätig ist. „Ich warne davor, der SPV zu vertrauen, wenn es einen Auftraggeber gibt, der das Projekt massiv unterstützt.“ Er meint damit das Land NÖ.

Verkehrsexperte: "Empfehle allen, sich einzuklinken"

Maier räumt ein: „Ein Initiator wird das nicht ganz wertfrei machen können.“ Er betont zugleich: „Die Prüfung und die Entscheidung obliegen den Experten im Ministerium und dass sie das nicht wertfrei machen sollen, halte ich von einem Experten für ein starkes Stück.“

Frey legt mit einer Kritik des Rechnungshofes nach, wonach das Verkehrsministerium nicht immer das Zepter in der Hand halte. „Ich empfehle allen, sich einzuklinken, um zu sehen, wie die Macht der Gewohnheit von Mächtigen ausgeübt wird.“

Waldviertels Wirtschaftssprecher Werner Groiß findet, dass Frey „sehr polemisch“ agiert. „Wir brauchen Informationen“, solle im Vorfeld nicht alles abgedreht werden. „Wir müssen die Chance fürs Waldviertel haben, dass wir darüber reden können“, solle im Vorfeld nicht alles abgedreht werden. „Eine Autobahn bleibt eine Autobahn“, entgegnet Frey. Egal, wie man es drehe und wende, sie zerschneide weiterhin die Landschaft und versiegelt Flächen. „All diese Dinge sind bekannt und erforscht.“

Befürworter: "Trasse wäre langfristig von Vorteil"

Wer brauche dann die Autobahn? Nicht nur einmal ist die Frage zu hören. „Wir hören das tagtäglich“, antwortet Blumberger. Wer dann das sein, ertönen Rufe. „Da fallen mir viele Namen ein.“ Einer davon ist Volker Fuchs, „Test-Fuchs“-Geschäftsführer in Groß Siegharts. „Eine Trasse wäre schon langfristig von Vorteil.“ Man werde es sonst nicht schaffen, jeden zu erreichen. Und: „Wie wir uns fortbewegen werden, wird sich massiv ändern“, denkt er etwa an selbstfahrende oder wasserstoffbetriebene Verkehrsmittel.

„Unsere Umsätze machen wir in den Zentralräumen“, erklärt indes Stefan Graf, Bauunternehmer aus Gmünd. Seine Mitarbeiter seien gezwungen, weite Strecken zu fahren, wollen aber im Waldviertel bleiben. „Ob eine stärkere Straße, ob Autobahn oder Schnellstraße, das ist zu prüfen.“

Gegner: "Wirtschaft muss nachhaltig sein"

„Sonnentor“-Chef Gutmann spricht sich klar gegen eine Autobahn aus. „Uns hilft nur die eigene Innovationskraft. Das ist der Hauptfaktor, der uns erfolgreich macht“, erklärt er. „Ich bin für die Wirtschaft, nur sie muss nachhaltig sein.“

Es heiße immer, man brauche die Autobahn für die Wirtschaft, sagt „Transitforum Austria“-Obmann Fritz Gurgiser, der aus Tirol angereist ist. „Nur muss man fragen, für welche.“ Billigproduzenten werden sich laut Gurgiser zum Schaden der kleinen und mittleren Betriebe angezogen. „Wir verlieren gut bezahlte Arbeitsplätze und gewinnen schlechte Jobs.“ 

Nationalratsabgeordneter Martin Litschauer berichtet. Alle Fraktionen im Parlament seien sich ein einig, „dass der Transit ein Riesenproblem ist.“ Man könne nicht gleichzeitig über eine Autobahn nachdenken, die Transit anziehe.

"Gibt auf komplexe Fragen keine leichten Antworten"

Nicht sofort war zu erkennen, wofür die beiden Landtagsabgeordneten Josef Wiesinger (SPÖ) und Helmut Hofer-Gruber (NEOS) stehen. Letzterer sieht sich eher als Teil eines Meinungsprozesses. „Es gibt auf komplexe Fragen keine leichten Antworten.“ Später sagt er: „Die Bahn schafft viel, aber nicht die letzte Meile. Das heißt nicht, dass wir die Autobahn brauchen. Was wir sicher nicht brauchen, ist Transit auf der Straße. Das gehört auf die Schiene.“

Wiesinger hält die Verbindung der Bezirkshauptstädte mit öffentlichen Verkehrsmitteln wichtig. „Ich bin nicht der große Autobahn-Befürworter“, ergänzt er dann. „Aber dass wir Straßen brauchen, darüber kommen wir nicht hinweg.“

Maier: "Habe viel mitgenommen"

Maier betont zum Schluss einmal mehr den ergebnisoffenen Prozess. „Am Ende des Tages kann ein Plus, ein Minus oder eine Empfehlung stehen.“ Nichtsdestotrotz werde mit einem ersten Paket in die Franz Josefs-Bahn investiert, Paket II und III bedürfen noch einen Nationalratsbeschluss. „Ich habe auch viel mitgenommen von Ihren Argumenten“, habe diese notiert. Bei seinem Satz „Vertrauen Sie auch wieder der Politik“ wird Wirbel im Publikum laut.

Überwältigt war Kainz: Seine Erwartungen an die Podiumsdiskussion seien übertroffen worden. Moderator Wurz hat zu Beginn eine Frage in den Raum gestellt, um nicht nur gegen etwas zu sein: Was braucht denn das Waldviertel und die Wirtschaft, was brauchen die Arbeitnehmer? „Ansätze hat es gegeben, aber wir brauchen Antworten – und noch mehr Diskussionsbeitrags“, resümiert er.